Wohnzimmer – Hinter diesen Fenstern

Eine 3sat Serie von Siegfried Ressel

Das Wohnzimmer, die berühmten eigenen vier Wände, das Haus, das Loft, der Bauwagen, das Hausboot. Hier tobt das Individuum, hier steht es in keinem Wettbewerb, es muss sich keiner Gruppe zugehörig fühlen und darf stattdessen auf dem Sofa fläzen. Die Dinge des Lebens lagern sich derweil als Sedimente in Regalen ab. Bücher, Schallplatten und CDs als Erinnerungspfeiler der eigenen Vita. Die Wohnung als Bühne. Als Kulisse des privaten Seins. Als Schicksal. Stylisch, provisorisch, gemütlich, normal oder schrill. Räume voller Geschichten oder absichtsvoll entleert. Willkommen im „Wohnzimmer“!

Beschäftigt man sich mit den Wohnungen fremder Menschen, gerät man naturgemäß in das Leben der anderen. Man betritt eine Zone weit jenseits des Öffentlichen, und so selbstverständlich und normal das klingt, ist es doch immer wieder auch so verdammt überraschend. In Wirklichkeit ist diese private Wohn-Welt nämlich ganz und gar nicht jene, die sich Baumärkte und Möbelhäuser ständig für uns ausdenken. Vielmehr ist es der Blick aus dem Fenster auf eine Ulme, die sich im Regen wiegt, die geerbte Vase neben einem Plastikfußball, der Ostseestrand in einer Glasvitrine, drei bunte Kugelschreiber auf einer Schreibplatte. Einweckgläser übereinandergestapelt, ein alter Army-Parka an der Wand, Gehstöcke, die Schwerter sind, Zimmerpflanzen, die ein bißchen vor sich hingammeln und Socken, die rumliegen dürfen. Stillleben der Privatheit wohin man auch schaut.

Die Wohnung als Film. Als Ausgangsort für Geschichten. Als Filmemacher glaube ich ganz unbedingt an die Poesie des Alltags, die sich natürlich auch in den Wohnorten spiegelt. (und die wiederum total neugierig machen.) Fremdes Terrain! Heißt zunächst immer: Kein Ort nirgends. Mit jeder neuen Person, jedem neuen Raum, in dem sich der Film dann entwickelt, fängt man bei Null an und dann geht es Schritt für Schritt nach vorne. Oft die Frage, weshalb hier und nicht woanders? Warum Land uns nicht Stadt? Weshalb dieses Haus und nicht irgendeine Wohnung? Und schon ist man mitten in einer Biographie, in einem fremden Leben, das einem geläufiger wird über die Gegenstände, die einem gezeigt werden, über den Lichteinfall aus einem Oberlicht, über den Rosenstock, der an der Ostwand des Bauwagens nicht wachsen will.

Als Drehteam besuchten und filmten wir die unterschiedlichsten Wohn-Orte in Österreich, in der Schweiz und in Deutschland. Wir hatten keine Raster im Kopf, keine Vorgaben, keine Formate; die Protagonisten sollten nicht exemplarisch für etwas stehen. Wir waren weder auf der Suche nach dem Deutschen Wohnzimmer noch nach einem definitiven Alpenklischee. Oder gar einer heilen Welt. Die unterschiedlichsten Geschichten von Mensch und Ort, egal ob jung oder alt, Singles oder Familien, oder wie auch immer, trieben uns voran und wir fanden zunächst eine scheinbar ganz banale Erkenntnis: nichts ist so sehr Geschmackssache wie die Räume, in denen gewohnt wird.

Alle Menschen, die wir besuchten und die uns ihre Wohnorte zeigten, machten uns baff. Provozierten sofort den Abgleich mit der eigenen Lebensart: könnte man so leben wie sie? Mit jedem neuen Zimmer öffnete sich eine neue Welt, über die wir nur staunen konnten. Die Vielfalt der Möglichkeiten; die Kreativität, mit der im wahrsten Sinne eingerichtet worden ist; die Ordnung im Chaos; die Spuren eines langen Lebens an ein und demselben Ort. Details, in die wir uns bildlich verliebten. Möbel, die wir vorher noch nie gesehen hatten. Lebensstile, vor denen wir den Hut zogen.

Und dann die Konfrontation mir dem Grotesken: Wohnungen so bunt und so schräg wie Faschingskostüme. Über Jahre zusammengesammelter Nippes, der sich zu Irrsinnswohnlandschaften fügt. Gefühlige Stories des Erwerbs, die sich in unzähligen Vasen, Täßchen, Stelen und Kronleuchtern materialisieren. Eine Bildgeschichte.

 

Wohnen, zu Hause sein, ein Dach über dem Kopf haben, my home is my castle, all das sind und bleiben dehnbare Begriffe, die eine unendliche Bandbreite von heimischen Daseinsmöglichkeiten umschreiben. (und die wir als Team von „Wohnzimmer“ Freude haben, filmisch anzudeuten.) Die Spannung kommt vom Unterschied, vom Kontrast; sie ergibt sich durch die Kompositionen der ganz individuellen Wohnarten zueinander: alles ist möglich und ist auch immer wieder neu. Spätestens beim nächsten Umzug.

Autor: Sigi Ressel

Sendetermine: 16.11./ 23.11./ 07.12.2014 18.30 Uhr, 3Sat

Redaktion: Lena Goliasch